Über die Musik zum »Triadischen Ballett«

Die Musik zu den 18 Figurinen von Oskar Schlemmer hat eine lange Geschichte. Ich fasse sie hier gestützt auf die Forschungen von Dirk Scheper (Oskar Schlemmer – Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne, Schriftenreihe der Akademie der Künste, Bd. 20, Berlin 1988) und Friederike Zimmermann („Mensch und Kunstfigur“ – Oskar Schlemmers intermediale Programmatik, Rombach Verlag Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2014) zusammen.

1912
Oskar Schlemmer (1888 – 1943) lernt die beiden Solotänzer des Stuttgarter Königlichen Hoftheaters Elsa Hötzel (1886 – 1966) und Albert Burger (1884 – 1970) kennen.

Burger und Hötzel haben einen Sommerkurs in Hellerau bei Emile Jaques Dalcroze absolviert.

Zusammen mit Schlemmer besuchen sie eine Aufführung von Arnold Schönbergs »Pierrot Lunaire«. Sie sind begeistert und planen eine eigene Tanzaufführung. Schlemmer soll die Ausstattung übernehmen.

Schlemmer und Burger schreiben einen Brief an Schönberg mit der Bitte um Komposition. Schönberg lehnt aus Zeitnot ab.

Arnold Schönberg (1874 – 1951) porträtiert von Egon Schiele

Ebenfalls 1912 beginnen Schlemmer und die Tänzer mit den Proben. Schlemmer spricht in einem Brief von den verwendeten Klavierstücken: »Serenade burlesque, Danse exotique, Chanson joyeux von italiensichen Komponisten« Wahrscheinlich handelt es sich um
• »Serenade burlesque« Opus 41, Nr. 10 von Mario Tarenghi
• »Danse exotique« Opus 124, Nr. 8 von Marco Enrico Bossi
• »Chanson joyeux« Opus 41, Nr. 9 von Mario Tarenghi


1913

Die Suche nach einem zeitgenössischen Komponisten geht weiter. Der ebenfalls angefragte Jaques-Dalcroze verweist die drei Stuttgarter an seinen Schüler Albert Jeanneret in La-Chaux-d-Fonds, einen Bruder des Architekten Le Corbusier. Es setzt eine intensive briefliche Korrespondenz mit Jeanneret ein, sie bleibt jedoch ohne Ergebnis.

Albert Jeanneret (1886 – 1973)

1916

Anlässlich einer Wohltätigkeitsveranstaltung von Schlemmers Regiment kommt es im Stuttgarter Stadtgarten zu einer ersten Aufführung. Burger und Hötzel tanzen in nicht mehr rekonstruierbaren Kostümen. Ein Rezensent erwähnt: »drei hübsche Klavierstücke von Bossi«. Schlemmer beschreibt diesen Auftritt später als Teilaufführung.

1919

Der Erste Weltkrieg ist vorbei. Hötzel, Burger und Schlemmer nehmen die Erarbeitung der Tänze wieder auf.

1920

Schlemmer wendet sich an Paul Hindemith, der als Konzertmeister an der Oper Frankfurt tätig ist. Sie treffen sich und Hindemith fertigt kompositorische Skizzen an, die er an Schlemmer sendet. Möglicherweise um der Zurückweisung durch Burger und Hötzel zu vermeiden, lässt Schlemmer die Zusammenarbeit wieder einschlafen.

Paul Hindemith (1895 – 1963)


1922

Schlemmer schreibt in einem Brief: „Erst war das Kostüm, die Figurine. Dann ward die Musik gesucht, die jenen am ehesten entsprach –, bei der Moderne nicht zu finden, wohl aber, wenn auch behelfsmäßig bei den Alten.“ Schlemmer stellt für die erste Aufführung die Musik zusammen.

Am 30. September 1922 findet die Uraufführung im heute zerstörten Kleinen Haus des Württembergischen Landestheaters Stuttgart statt. Am Klavier begleitet Otto Reichert, ein Neffe Schlemmers die Tänze.

Programm der Uraufführung des Triadischen Balletts 1922

Die Musik der Uraufführung lässt sich weitgehend rekonstruieren. Dirk Scheper findet in Schlemmers Nachlass teilweise vollständiges Notenmaterial. Nach Scheper kommen folgende Stücke zur Aufführung:

URAUFFÜHRUNG STUTTGART

Erste Reihe

• »Sérénade burlesque« von Mario Tarenghi
• »Pantomima« von Marco Enrico Bossi
• »Caresses« von Marco Enrico Bossi
• »Scherzino« von Marco Enrico Bossi
• »Les Minstrels« von Claude Debussy

Zweite Reihe

• Klaviersonate Nr. 9, Finale „assai allegro“ von Joseph Haydn
• Menuett Es-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart („nicht näher bestimmbar“ schreibt Scheper)
• Klaviersonate A-Dur, Schluss-Satz „alla turca“ von Wolfgang Amadeus Mozart

Dritte Reihe

• Klaviersonate Nr. 50, 2. Satz „Largo sostenuto“ von Joseph Haydn
• Toccata von Domenico Paradies („nicht näher bestimmbar“ schreibt Scheper)
• Komposition von Baldasare Galuppi („nicht näher bestimmbar“ schreibt Scheper)
• Suite in G-Moll, „Passacaille“ von Georg Friedrich Händel


Die Literatur- und Musikwissenschaftlerin Friederike Zimmermann unternimmt in ihrem Buch (s.o.) die genauere Eingrenzung der von Dirk Scheper als unbestimmbar bezeichneten Klavierstücke.

• für das „Menuett in Es-Dur“ schlägt sie Minuett I und II aus der Sonate Nr. 4 in Es-Dur KV 282 vor. Dabei ist zu beachten, dass Menuett I in B-Dur steht, und nur Menuett II als Mittelteil in Es-Dur ist.

• für die „Toccata“ von Paradies verweist sie auf ein Kalvierstück des Komponisten, dass den Namen „Toccata“ trägt. Es ist übrigens ein sehr populäres Stück in der europäischen Hausmusik-Tradition.

• für die Komposition von Galuppi bestimmt sie 12 Sonaten, die zu Schlemmers Zeit editiert waren. Davon weißt die Sonate „Andantino spiritoso“ die größte Übereinstimmung mit den choreographischen Anforderungen und Beschreibungen auf.


1923

Die Aufführung des »Triadischen Balletts« zur Bauhauswoche in Weimar lässt Schlemmers Traum in Erfüllung gehen, die Choreographie von einem Orchester begleitet zu hören. Doch das hat seinen Preis. Da das Orchestern nur für den Beginn und zum Ende im Graben Platz nimmt, wird die Reihenfolge verändert und die 2. Reihe (rosa) rückt an das Ende. Es ergibt sich folgene Reihung:

AUFFÜHRUNG WEIMAR

NEU: Ouvertüre zu „La Clemenza di Tito“ (C-Dur) – Orchester

Erste Reihe

• »Sérénade burlesque« von Mario Tarenghi
• »Pantomima« von Marco Enrico Bossi
• »Caresses« von Marco Enrico Bossi
NEU »Babillage« von Marco Enrico Bossi
• »Scherzino« von Marco Enrico Bossi
• »Les Minstrels« von Claude Debussy

Dritte Reihe

• Klaviersonate Nr. 50, 2. Satz „Largo sostenuto“ von Joseph Haydn
• Toccata von Domenico Paradies
• Sonate von Baldasare Galuppi entfällt
• Suite in G-Moll, „Passacaille“ von Georg Friedrich Händel

Zweite Reihe

• Menuett Es-Dur [aus Sinfonie Nr. 39 Es-Dur, KV 543] von Wolfgang Amadeus Mozart – Orchester
• Klaviersonate Nr. 9, Finale „assai allegro“ von Joseph Haydn
• Klaviersonate A-Dur „alla turca“ [Fassung für Orchester] von Wolfgang Amadeus Mozart – Orchester


Die Aufführung in Weimar wird ein großer Erfolg. Ebenfalls 1923 organisiert Schlemmer noch eine Aufführung in Dresden zur »Jahresschau Deutscher Arbeit«. Die Reihenfolge entspricht dem Weimarer Ablauf, jedoch ausschließlich mit Klavierbegleitung. Das Gastspiel ist ein organisatorisches und finanzielles Desaster und auch die örtliche Kritik ist nicht zu gewinnen. Die Gemeinschaft mit Hötzel und Burger zerbricht endgültig.

1926

Aufführung des »Triadischen Balletts« zu den Donaueschinger Kammermusik-Tagen

1926

Mitwirkung der Kostümfiguren bei der „Großen Frankfurtert Brückenrevue“ in Frankfurt am Main

1926

Mitwirkung der Kostümfiguren bei der Revue „Wieder Metropol“ im Metropoltheater Berlin

1932

Oskar Schlemmer nimmt mit dem »Triadischen Ballett« am »Concours de Chorégraphie« des Thèâtre des Champs Elysées in Paris teil. Letzte Aufführung des Werkes zu Oskar Schlemmers Lebzeiten.

1970

Rekonstruktion durch Margarete Hasting in München

1977

Rekonstruktion durch Gerhard Bohner in West-Berlin

2014

Übernahme der Bohner-Rekonstruktion durch das Bayerische Junior Ballett München

2015
Inszenierung durch das Theater der Klänge in Düsseldorf

2020
Inszenierung der Fassung für Marionetten durch Theater Fuchs